Auf YouTube bin ich zufällig auf ein Video von Nutzer argilaga zu einem Kraftwerks-Simulator für die RBMK-Reaktoren aufmerksam geworden. Mit diesem Simulator habe ich mich nun auch selbst etwas beschäftigt und möchte meine Erfahrungen mit diesem Blog-Eintrag teilen. Da ich mich beruflich schon intensiv mit dem Anfahren eines Steinkohlekraftwerkes befasst habe, möchte ich hier versuchen, meine Erfahrungen auf den RBMK-Reaktor anzuwenden und weiterzugeben.
Das Unternehmen „Simgenics“ bietet auf seiner Webseite einen RBMK-Simulator zum kostenlosen Download an. Ursprünglich wurde der Simulator als „CHERNOBYL, The Legacy Continues“ für Windows 3.11 und Windows 95 auf CD verkauft. Das hatte den Charm von Videospielen der damaligen Zeit, es gab kurze, real aufgenommene Videos mit echten Personen als Zwischensequenzen und man hatte im wesentlichen die Aufgabe, den Kraftwerksbetrieb trotz seiner Störungen am Laufen zu halten.
Die aktuelle Version von Simgenics, die nun auch unter Windows 10 lauffähig ist, arbeitet ohne Störfälle und (leider) auch ohne die netten Zwischensequenzen. Auch das Laden und Speichern von Spielständen ist nicht mehr möglich, es gibt nur einen festen Anfangszustand beim Starten des Simulators. Auch die Funktionen zur Wirtschaftlichkeit der Anlage wurden entfernt. Die Simulation der Regelkreise und der Kraftwerkssteuerung ist dennoch sehr praxisnah und dementsprechend komplex, auch ohne Störungen. Man kommt ohne Fach- und Hintergrundwissen nicht voran, es ist also wie in der Realität auch.
Es gibt dennoch ein paar Details zum Simulator, die nicht ganz unwichtig sind und die helfen zu verstehen, warum die Dinge eben sind wie sie sind.
Das Simulator-Modell
Der Simulator bildet die Anlage an vielen Stellen vereinfacht nach und hat 25 Brennelemente und 25 Steuerstäbe, die in einer 5×5-Matrix angeordnet sind. Der zweite Kreislauf durchströmt jedes zweite Brennelement, nicht die linke oder rechte Seite. Bei einigen Aggregaten müssen und können Ventile einzeln gesteuert werden, manche Systeme sind vollautomatisch und werden mit einem Klick in Betrieb genommen.
Das folgende Bild ist an das Übersichtsbild des Simulators angelehnt und zeigt nahezu alle Anlagenteile.
Bei diesem Schema habe ich bewusst die Symbole des Simulators nachgezeichnet und keine genormten Symbole verwendet, um nah am Original zu bleiben. Von diesem Schema gibt es einige Varianten: Deutsch (PNG, PDF), Englisch (PNG, PDF), Ohne Beschriftung (PNG, PDF)
Anfangs- und Startbedingungen
Der Simulator startet immer mit Anfangsbedingungen, die den Zustand des Kraftwerks beschreiben. Diese Anfangsbedingungen sind in einer .ICD-Datei gespeichert, aus dem englischen für „Initial Conditions“. Es wird beim Start immer die Datei chernobyl04.ICD im Verzeichnis \CHRNOBYL\FILES\IC_DATA geladen. Kopiert man die Datei ICSELECT.EXE in das Hauptverzeichnis, lässt sich diese zumindest starten und man erkennt die Zuordnung der anderen ICD-Dateien, die sich noch in diesem Verzeichnis befinden:
- chernobyl01.ICD: Kraftwerksbediener. Kaum Störfälle, Kraftwerk auf Volllast (Leicht).
- chernobyl02.ICD: Schichtleiter. Störfälle, nur 80 % Last, Kraftwerk gerade noch wirtschaftlich (schwieriger).
- chernobyl03.ICD: Leitender Ingenieur. Ernste Störungen, nur 50 % Last, das Kraftwerk schreibt verluste und die Leistung muss erhöht werden (sehr schwer)
- chernobyl04.ICD: Kraftwerksleiter. Erhebliche Störungen, Kraftwerk vom Netz, erhebliche wirtschaftliche Verluste und angespanntes Personal (am schwierigsten).
Man kann die anderen Dateien laden, indem man die Datei chernobyl04.ICD durch andere ICD-Dateien ersetzt. Der Stand chernobyl01.ICD lässt sich leider nicht laden, da der Simulator in der aktuellen Version bei 100 % Neutronenfluss im Reaktor sofort mit Kernschmelze beendet wird. Weitere Anfangsbedingungen sind im Ordner CHRNOBYL\FILES\SAVED zu finden, diese können ebenfalls verwendet werden.
Das erste Problem an dieser Stelle ist: Das Kraftwerk lässt sich im Original-Zustand als Kraftwerksleiter gar nicht anfahren, denn die Berstscheibe am Kondensator ist gerissen und diese muss erst repariert werden, das Reparatur-Menü ist allerding in der neuen Simulator-Version nicht enthalten. Es existieren im Netz sog. ICD-Fixes, bei denen die Berstscheibe repariert wurde. Ein weiteres Problem ist die Xenon-Vergiftung. Beim Start als Kraftwerksleiter steigt der Xenon-Anteil kontinuierlich an.
Simulatorbedienung
Der Simulator startet mit einer Art Nachbildung eines kleinen Pults, hier werden ein paar wichtige Messwerte auch direkt angezeigt. Die roten und grünen Knöpfe sind nur dekorativ und können nicht bedient werden. Klickt man einen Anlagenbereich an, so öffnet sich ein Fenster zur Bedienung dieser Anlagenteile. Mit Rechtsklick auf das Pult werden alle Fenster in den Hintergrund oder den Vordergrund gebracht.
Unter „Schematics“ lassen sich neben einem Übersichts-Schema mehrere Schemata einzelner Anlagenbereiche anzeigen, die man sich z.B. neben dem Bedienpult anzeigen lassen kann. Man kann das Bedienpult auch verschieben, indem man eines der geöffneten Fenster an den Rand des Hauptfensters schiebt und die Scrollbalken benutzt, das wird aber bei Ändern der Fenstergröße wieder zurückgesetzt.
Die Werte auf den Schaubildern werden auf den folgenden Bildern etwas erläutert.
Die auf der Trendanzeigen angezeigten Größen können beliebig zugewiesen werden, indem man im Drop-Down-Menü unter „Trends“ eine Messung auswählt und anschließend auf die Schaltfläche rechts neben der Farbe klickt.
Mit den Pfeiltasten auf der linken Seite kann der Trend nach Links oder Rechts verschoben werden (z.B. falls Linien zu dicht übereinander liegen).
Reaktorsteuerung
Der Reaktor wird über die beiden Elemente „Reactor Power Regulation“ und „Absorber Rod Control“ gesteuert.
Die Steuerstäbe des Reaktors können über „Pull Rods“, „Insert Rods“ und „Hold“ manuell bewegt werden, mit „Center Core Only“ werden nur die Steuerstäbe im inneren Kern bewegt (zum Anfahren). Über s, m und f kann die Geschwindigkeit eingestellt werden.
Die Leistungsregelung zeigt den Neutronenfluss und die 10er-Logarithmusfunktion des Neutronenflusses an, gerechnet als log10(fluss/100). Die Darstellung des Logarithmus dient dazu, den ersten Anstieg des Neutronenflusses in der Nähe von 0 zahlenmäßig anzugeben.
Die Reaktivität, die bei den Steuerstäben angezeigt wird, ist Ähnlich der Kritikalität, 0 bedeutet hier „kritisch“, Werte über Null sind überkritisch. Der Reaktor hat bei einer Reaktivität von 0 eine konstante Leistung, eine Reaktivität über 0 führt zu einer Leistungssteigerung.
Die Aktivität der einzelnen Brennelemente kann angezeigt werden, indem man das Messgerät unten im “ Absorber Rod Control „-Fenster auf das jeweilige Brennelement zieht. Man kann die Brennelemente herausnehmen und in das Abklingbecken ziehen und auch neue Brennelemente von oben rechts in die Druckröhre einsetzen. Lässt man die Maus an der falschen Stelle los, liegen die Brennelemente offen herum und ein Alarm wegen zu hoher Radioaktivität wird ausgelöst. Leider führt das Ziehen in diesem Fenster oft zum Absturz des Simulators oder das Fenster friert ein.
Xenon-Vergiftung
Xenon-135 entsteht zum größten Teil verzögert als Zerfallsprodukt aus Iod-135 (Halbwertszeit 6,6 Stunden). Es hat einen wesentlich größeren Neutronen-Absorptionsquerschnitt als alle sonst im Reaktor vorkommenden Materialien, ist es vorhanden, sinkt die Reaktivität des Reaktors stark ab, da die Neutronen, die zur Kernspaltung beitragen, vom Xenon-135 eingefangen werden. Xenon-135 wird durch Neutroneneinfang im Betrieb zu Xenon-136 gewandelt oder es zerfällt mit einer Halbwertszeit von 9,2 Stunden zu Caesium-135. Unterhalb einer Reaktorleistung von 60 % besteht die Gefahr einer „Xenonvergiftung“.
Um das Problem der Xenon-Vergiftung zu lösen, muss man an dieser Stelle folgendes wissen: Der Reaktor wurde beim Spielstand als Kraftwerksleiter gerade erst heruntergefahren. Die Lösung des Xenon-Problems ist dabei so offensichtlich, dass sie in vielen Diskussionen im Internet noch gar nicht beachtet wurde. Nach dem Herunterfahren zerfällt Jod-135 und sorgt für den Anstieg an Xenon-135. Das enstpricht der Realität, nicht nur in RBMK-Reaktoren. Man muss einfach nur abwarten, bis sich kein neues Xenon-135 mehr aus Jod-135 bildet und das Xenon-135 in seine Zerfallsprodukte zerfallen ist. Der Simulator bildet diesen Zerfall präzise nach.
Der Xenon-Anteil steigt in den ersten 5 Stunden bis ca. 403,8 % an. Ab ca. 230 % ist ein Anfahren nicht mehr möglich. Es dauert dann mindestens 20 Stunden, bis der Reaktor wieder angefahren werden kann. Man kann natürlich versuchen, innerhalb der ersten halben Stunde den Simulator auf Vollast anzufahren, dieses Vorgehen ist aber in der Praxis nicht möglich.
Durch die fehlende Speicher-Funktion im Simulator ist es allerdings schwierig, 30 Stunden oder länger mit dem Anfahren zu warten und dann durch einen Turbinenschaden das Anfahren neu zu starten. Praktisch ist das aber möglich, wenn man den Simulator in einer Virtuellen Maschine betreibt, allerdings müssen dann auch andere Komponenten berücksichtigt werden (z.B. HEPA-Filter tauschen).
Um das ganze etwas zu vereinfachen und sich die Wartezeit zu sparen, gibt es hier nun einen ICD-Fix, bei dem dieser Zerfall bereits stattgefunden hatte, da es relativ lästig ist, 40 Stunden warten zu müssen.
ICD-Fix
Die hier downloadbare ICD-Datei hat einen Zustand, der für eine solche Anlage nach einem längeren Stillstand wegen einer Reparatur typisch sein kann:
- Kein weiterer Xenon-Aufbau, Jod-135 und Xenon-135 sind weitestgehend zerfallen
- Zusatzwasserbehälter 2 auf 71 % gefüllt
- Niveaus von Speisewasserbehälter und Hotwell niedrig
- HEPA-Filter ersetzt
- Berstscheibe repariert
- Reaktortemperatur 41,5 °C, Zerfallskühlung und je eine Umwälzpumpe aktiv
- Entgaser-Entlüftung bereits auf 50 % geöffnet (das manuelle Öffnen kostet viele Mausklicks und Zeit)
- Diverse Regelungen sind nicht auf Automatikbetrieb
- Beide Speisewasseraufbereitungsstraßen sind vollständig regeneriert
Download der Datei:
In der Praxis sind natürlich auch beliebige, andere Konstellationen denkbar – hier sollte man einen Zustand haben, bei dem man viele Anlagenteile beim Anfahren beachten muss und dennoch nicht unter Zeitdruck steht.
Die ICD-Datei habe ich mit der modifizierten Simulator-Version von Itchy-Avocado erstellt, die auf Reddid zu finden war, hier wurde die Speicher- und Reparaturfunktion in der .exe wieder freigeschaltet.
Weitere Tipps zur Simulatorbedienung
Aggregate und Anlagenteile werden oft als Gruppe angesteuert, die Bezeichnung der Steuerung lautet „IN“ für „In Service“ und „OUT“ für „Out of Service“. Rot bedeutet „aktiv“, Grün bedeutet „bereit“.
Pumpen werden immer gegen einen geschlossenen Schieber gestartet und bei geschlossenem Schieber gestoppt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Rückströmungen die Pumpe antreiben und sich die Pumpe ohne Last rückwärts dreht. Ein großer Asynchron-Elektromotor, der ohne Umrichter oder andere moderne Elektronik einfach nur an eine Hochspannung geschaltet wird, kann in so einem Fall explodieren. Manche Pumpen haben Schieber auf der Saug- und Druckseite, hinter anderen Pumpen sitzt nur ein Regelventil, welches ggf. über eine Automatik angesteuert wird. Die Schieber auf der Saugseite können geöffnet bleiben, die druckseitigen Schieber werden vor Stoppen der Pumpe geschlossen, nach dem Starten der Pumpe geöffnet und müssen vor dem Starten der Pumpe geschlossen sein. Das wird in der Anfahr-Anleitung nicht immer explizit erwähnt, muss aber immer exakt so gemacht werden.
Es gibt keinen Hilfsdampf. Während viele Kraftwerke über Dampfschienen oder Hilfsdampferzeuger den für manche Anlagenteile benötigten Dampf während des Anfahrens bereit stellen, haben wir hier gar nichts derartiges. Das ist aber nicht direkt ein Problem, da wir ja Dampf über den Reaktor erzeugen können. Man muss nur wissen, was man tut.
Die Zerfallswärme reicht aus, um den Reaktor aufzuheizen, die Sperrdampfdichtung der Turbine in Betrieb zu nehmen und den Entgaser zu betreiben. Der dauerhafte Betrieb der Dampfstrahlvakuumpumpen des Kondensators ist mit der Zerfallswärme jedoch nicht möglich, dafür ist die erzeugte Dampfmenge zu gering.
Sind alle Umwälzpumpen aus, wird keine Zerfallswärme simuliert, selbst wenn die Umwälzung durch die Zerfallskühlung (Offline Cooling System) erfolgt. Um die Zerfallswärme und die Kühlung korrekt zu simulieren, muss je eine Umwälzpumpe pro Kreislauf aktiv sein.
Während des Betriebes unter Vollast erfolgt kontinuierlich ein Wechsel der Brennelemente, wird das nicht gemacht, kann es zum Verlust der Kritikalität kommen. Leider funktioniert dies im Simulator nicht reibungslos.
Vakuum im Kondensator ist nur mit Hilfe der Dampfstrahlvakuumpumpen möglich, eine Evakuierung des Reaktors zum Herstellen eines Sattdampfzustandes vor dem Druckaufbau ist nicht möglich. Bricht die Berstscheibe wegen des fehlenden Vakuums, lässt diese sich nicht mehr reparieren.
Hotwell und Speisewasserbehälter verfügen über ein zweites, nicht direkt bedienbares Ventil, welches bei aktiver Regelung einen Überlauf bei einem festen Wert überhalb des eingestellten Sollwertes der Behälter verhindert. Beim Hotwell öffnet dieses Ventil bei +5 über dem eingestellten Sollwert.
Anfahranleitung
Die nun folgende Anleitung beschreibt die einzelnen Schritte, wie ich die Anlage ausgehend vom oben herunterladbaren IC-State hochfahre. Sie weicht an einigen Stellen vom Handbuch ab, ich versuche, möglichst stabil und ohne Lastschwankungen zu arbeiten.
Sicherheitssysteme prüfen: Das Notkühlventil (ECC bzw. ERC) sowie die automatische Reaktorabschaltung (Auto SCRAM Control) sollten bereit sein. Der Anfahrprozess ist nicht damit verriegelt, Störungen oder Fehlbedienung können allerdings ohne diese Sicherheitseinrichtungen schnell zur Zerstörung der Anlage führen.
Inbetriebnahme einer Hauptkühlwassepumpe: Kühlwasser wird theoretisch erst benötigt, wenn Wärme über den Kondensator abgeführt werden muss, in der Praxis kann die Hauptkühlwasserpumpe auch Zwischenkühlwasserkeise speisen und heißes, dampfendes Kondensat muss bei Ablauf aus dem Reaktor auch gekühlt werden können, daher sollte dies unser erster Schritt zum Anfahren sein.
Inbetriebnahme des HEPA-Filters: Ablauft aus dem Entgaser oder der Speisewasseraufbereitung muss vor dem Ablassen in die Umgebung gefiltert werden, um radioaktive Partikel zurück zu halten. Den HEPA-Filter in Betrieb nehmen und den Bypass schließen.
Hotwell-Niveau herstellen: Zuerst vergewissern wir uns, dass die Hotwell-Niveau-Regelung auf „Manuell“ steht und das Zusatzwasserventil zum Hotwel geschlossen ist. Den Sollwert stellt man auf „0“. Wäre die Regelung aktiv aber kein Zusatzwasser vorhanden, würde der Regler das Ventil vollständig öffnen. Dieses Verhalten ist übrigens völlig normal und es ist unsere Aufgabe als Bediener, hier entsprechend zu handeln. Wir öffnen das Ventil zum Kaltkondensattank 2 unter „Makeup System“. Die Zusatzwasserpumpen benötigen wir nicht, da wir genügend Zusatzwasser im im Kaltkondensattank haben. Die Ventil-Steuerung öffnet sowohl das Ventil von den Pumpen zum Tank als auch vom Tank zum Speisewassersystem. Ist das Zusatzwasserventil an den Kaltkondensattanks geöffnet, vorsichtig das Hotwell-Zusatzwasserventil etwas öffnen und den Hotwell manuell füllen. Ist das Niveau nahe des Soll-Niveaus angekommen, wird die Regelung auf „Automatik“ gestellt. Das Füllen eines leeren Hotwells über die Regelung empfehle ich nicht, da es zu einem größeren Überschwingen kommt. Der Hotwell kann nur über eine Kondensatpumpe wieder geleert werden, diese ist allerdings noch nicht in Betrieb genommen, da der Hotwell zu Beginn noch zu wenig Wasser für den sicheren Betrieb enthält.
Inbetriebnahme des Kondensatsystems: Ist der Hotwell gefüllt und die Versorgung mit Zusatzwasser sichergestellt, kann das Kondensatsystem in Betrieb genommen werden. Es muss zuerst sichergestellt werden, dass das Kondensatregelventil zum Speisewasserbehälter (DA) geschlossen ist und die Regelung auf Manuell steht. Ist dies der Fall, kann eine Kondensatpumpe eingeschaltet werden. Ist die Kondensatpumpe aktiv, wird eine der beiden Straßen der Kondensataufbereitungsanlage (Polisher) in Betrieb genommen.
Füllen des Speisewasserbehälters: Der Speisewasserbehälter sollte ebenfalls von Hand vorsichtig befüllt werden, da die Hotwell-Regelung bei solchen Wassermengen zum Überschwingen neigt. Den Speisewasser-Sollwert dazu auf „0“ stellen und das Zulaufventil (DA Valve) von Hand öffnen, ohne die Regelung in Betrieb zu nehmen. Der Sollwert steuert auch den Überlauf. Ist der Behälter befüllt, die Regelung auf Automatik schalten. Die Entgaser-Bedampfung bleibt zu diesem Zeitpunkt noch geschlossen und außer Betrieb.
Vorbereitungen an der Turbine: Hydraulik- und Schmierölpumpen werden eingeschaltet, die Entwässerungen (Steam Drain) geöffnet. Das Sperrdampfventil bleibt geschlossen. Ist Hydraulik- und Schmieröldruck vorhanden, kann der Turbinenregler quittiert werden (Turbine Trip Reset) und die Turbine wird ins Drehwerk geschaltet (Turning Gear ON), die Turbine sollte sich nun langsam drehen.
Vorbereitungen am Wasser-Dampf-Kreislauf: Die Reaktorablauf-Regelung wird auf Automatik mit einen Sollwert von +4.0 in Betrieb genommen. Der Sollwert muss höher sein als der Niveau-Sollwert der Speisewasser-Regelung, da sonst beide Regelkreise auf das selbe Ziel regeln können und das Ablaufventil nicht zuverlässig schließt. Das Umleitventil wird auf einen Sollwert von 11.500 kPa eingestellt, geschlossen und die Regelung auf „Manuell“ gestellt. Das Ventil muss unbedingt geschlossen sein. Würde das Umleitventil ohne Vakuum im Kondensator öffnen, bricht die Berstscheibe. Die Entgaserbedampfung muss ebenfalls geschlossen und die Regelung auf Manuell stehen. Die Entgaser-Entlüftung wird auf 50 % geöffnet (dies ist in der ICD-Datei bereits erledigt) und der Drucksollwert wird auf 150 kPa eingestellt.
Reaktor speisen: Die Speisewasserregelung muss auf Manuell stehen und sowohl das Anfahr- als das Vollast-Speisewasserventil müssen geschlossen sein. Es kann nun eine beliebige Speisewasserpumpe in Betrieb genommen werden. Die Speisewasserregelung wird auf einen Sollwert von 0.0 mit der einfachen Regelung und der Verwendung des Anfahr-Regelventils eingestellt. Die Dampftrommel wird nun durch die Regelung befüllt, indem die Regelung auf automatik geschaltet wird.
Es kann nun damit begonnen werden, den Reaktor anzuwärmen.
An dieser Stelle ändere ich gerne die Trendanzeige und zeige folgende Daten an: Trommel-Druck (grün), Entgaserdruck (grau), Turbinendrehzahl (türkis), Mittelwert Steuerstab-Positionen (blau-grau).
Die nachfolgenden Schritte sind nicht in dieser Reihenfolge im Handbuch beschrieben. Sie entsprechen meiner persönlichen Vorgehensweise wie ich die Anlage anfahren würde, mit dem Ziel, möglichst gleichmäßig mit wenig Lastwechseln durch Reglereingriffe die Anlage anzuwärmen. Es wird zuerst die Dampferzeugung auf entsprechende Parameter hochgefahren und im Umleitbetrieb betrieben, dann wird die Turbine angewärmt und der Dampf schrittweise statt durch die Umleitung über die Turbine geleitet.
Zerfallskühlung außer Betrieb nehmen: Die Zerfallskühlung (Offline Cooling) wird außer Betrieb genommen. Dazu werden die Umwälzpumpen der Zerfallskühlung abgeschaltet und die Kühlwasserversorgung durch die Wärmetauscher (Cooling Flow) auf 0 eingestellt. Bei dieser Gelegenheit können auch alle saugseitigen Schieber der Hauptumwälzpumpen geöffnet werden. Mit Abschalten der Zerfallskühlung beginnt die Temperatur im Reaktor nun langsam zu steigen. Die Bildung von Dampfblasen und die Ausdehnung des Wassers führen dazu, dass das Niveau in der Dampftrommel steigt und heißes Speisewasser in den Hotwell abgelassen werden muss. Das Ablassen übernimmt die Reaktorablauf-Regelung automatisch, das anfallende Wasser wird bei erreichen eines Niveaus von 5 Metern über Sollwert aus dem Hotwell automatisch abgelassen.
Entlüften und Speisewasser anwärmen: Die Dampfzufuhr zum Entgaser wird nun manuell auf ca. 15 bis 20 % geöffnet, um ein Strömen der ersten Dampfschwaden durch die Frischdampfleitung zum Speisewasserbehälter zu ermöglichen. Auf diese Weise können Frischdampfleitungen vorgewärmt und das Speisewasser entgast werden, die Dampfzufuhr in den Speisewasserbehälter erwärmt das Speisewasser. Sobald die Temperatur im Reaktor 100 °C erreicht, beginnt der Dampf durch den Entgaser zu strömen. Die hier anfallende Kondensatmenge kann dem Reaktor bzw. der Dampftrommel wieder zugeführt werden, indem das Speisewasseranfahrregelventil auf ca. 5 % manuell geöffnet wird, der Regler muss dazu wieder auf Manuell gestellt werden.
Der Reaktor wird bis zu den ersten Dampfschwaden, die ab 100 °C in den Entgaser strömen werden, mit der Zerfallswärme angewärmt.
Ab hier sind nun während aller weiteren Vorgänge auf zwei Dinge zu achten: Sobald die Ausdehnung von Wasser und Dampf vorbei ist und mehr Dampf den Reaktor verlässt als nachgespeist wird (die Speisewasser-Regelung steht zu diesem Zeitpunkt noch auf Manuell), muss die Speisewasserregelung auf Automatik geschaltet werden. Erreicht der Druck im Speisewasserbehälter den Ziel-Sollwert von 150 kPa, muss die Regelung der Entgaser-Bedampfung auf Automatik geschaltet werden. Es hilft, hier die Trendlinien (rot für das Trommel-Niveau und grau für den Entgaserdruck) sowie die Stellung des Reaktor-Ablaufim Blick zu halten.
Reaktor: Mit den Steuerstäben wird nun der Reaktor auf einen Neutronenfluss von 4 % manuell hochgefahren. Die Sollwertführung wird auf den Ziel-Sollwert von 4 % eingestellt. Zum Anfahren werden nur die inneren Steuerstäbe herausgezogen. Die Steuerstäbe können anfangs schnell herausgefahren werden. Bei erreichen einer Neutronenflussänderung (Neutron Rate) von ca. 3-4 % muss die Geschwindigkeit reduziert werden oder das Herausfahren muss unterbrochen werden. Die Steuerstäbe werden bis zu einer Reaktivität von ca. max 0.4 herausgezogen. Während die Reaktivität positiv ist, steigt der Neutronenfluss und die thermische Leistung an, der Reaktor ist überkritisch. Die Reaktivität muss rechtzeitig wieder abgesenkt werden, mit dem Ziel, die 4 % Neutronenfluss bei einer Reaktivität von wieder 0 zu erreichen. Erfahrungsgemäß sollte die Reaktivität bei einem Neutronenfluss von 3 % nur noch bei ca. 0.2 liegen und dann relativ zügig auf 0 abgesenkt werden. Beim Erreichen des Neutronenflusses von 4 % wird die Steuerstab-Regelung eingeschaltet und übernimmt ab hier die Steuerung der Steuerstäbe. Es ist möglich, dass der Neutronenfluss auf über 5 % ansteigt, falls die Reaktivität nicht rechtzeitig reduziert wurde. In diesem Fall muss die Regelung außer Betrieb genommen werden und die Steuerstäbe müssen etwas hineingefahren werden. Die Regelung kann danach sofort wieder auf Automatik geschaltet werden. Der Vorgang erfordert etwas Übung.
Es sollte nun bald zu einem schnelleren Druckanstieg im Speisewasserbehälter kommen und die Druckregelung kann auf Automatik geschaltet werden.
Kondensator evakuieren: Bei Erreichen eines Druckes von 3300 kPa kann die Sperrdampfversorgung zur Turbine geöffnet werden. Ist genügend Druck auf der Sperrdampfdichtung (ca. 29 kPa), kann der Vakuumbrecher geschlossen und die Dampfstrahlvakuumpumpe gestartet werden, um den Kondensator zu evakuieren. Die Dampfstrahlvakuumpumpen benötigen eine nicht unerhebliche Dampfmenge.
Umleitbetrieb: Sobald das Vakuum verfügbar ist, wird das Umleitventil in moderater Geschwindigkeit auf 10 % geöffnet. Ziel ist es, den Frischdampfdruck auf einen konstanten und stabilen Wert bei ca. 7.500 bis 8.500 kPa einzustellen. Durch die hohe Dampfentnahme kommt es zu einem Abfall des Dampftrommel-Niveaus, nähert sich das Dampftrommel-Niveau dem Sollwert des Speisewasserreglers (0.0), muss die Regelung des Speisewassers auf Automatik geschaltet werden. Es ist nicht dramatisch, wenn das Ventil zwischenzeitlich vollständig schließt.
Es ist möglich, dass das Umleitventil bis zu 15 % geöffnet bleiben muss um den Druck stabil zu halten, in diesem Fall muss der Reaktor-Leistungssollwert um 0,5 % reduziert werden und mit einem geringeren Reaktor-Leisungssollwert versucht werden, diesen Zustand zu erreichen. Der Hintergrund ist, dass sonst die Speisewassermenge des Anfahr-Regelventils des Speisewassersystems nicht mehr ausreicht.
Die Anlage sollte sich nun nach kurzer Zeit ohne Schwingungen in einem stabilen Zustand (10 % Umleit-RV, 4 % Neutronenfluss-Sollwert) etwa um die 7.500 kP und 290 °C befinden und die Warnung der niedrigen Frischdampftemperatur sollte verschwinden. Sollte dieser Drucksollert noch nicht erreicht sein, kann das Umleit-Regelventil für eine Zeit auf 5 % angedrosselt werden, um den Druck im Dampferzeuger zu steigern.
Es ist möglich, dass man die hier beschriebenen Werte nicht genau trifft und man einen anderen Zustand erreicht, was aber nicht weiter schlimm ist. Der Dampf muss nur heiß genug sein und die Anlage muss ohne Überraschungen konstant Dampf produzieren.
Anstoßen und Anwärmen der Turbine: Es wird für das Anstoßen der Turbine Dampf auf einer Mindest-Temperatur und auf einem Mindest-Druck benötigt. Das Handbuch empfielt einen Druck von 4480 kPa zum Anwärmen der Turbine, bei dem hier beschriebenen Vorgehen sind Druck und Temperatur schon jetzt deutlich höher. Bei zu geringen Dampfparametern kommt es zu Schäden durch Tröpfchenbildung, die Turbine wird unzulässig hoch virbrieren und der Prozess dauert wesentlich länger. Der Leistungs-Sollwert der Reaktorregelung wird nun zuerst dem Anstoßen von einem Soll-Neutronenfluss von 4 % auf 5 % erhöht. Der Druck in der Dampftrommel beginnt dann weiter langsam zu steigen. In diesem Zustand kann das Anwärmen der Turbine gestartet werden, dazu wird der Turbinenregler auf „Auto“ gestellt und der Ziel-Sollwert von 3.600 1/min direkt ausgewählt. Es kann in diesem Zustand mit mittlerer Geschwindigkeit direkt auf die Zieldrehzahl hochgefahren werden. Die Turbine wird während des Hochfahrens Dampf benötigen, daher muss das Umleit-Regelventil so von Hand gedrosselt werden, dass die von der Turbine benötigte Dampfmenge nicht durch das Regelventil stömt, aber die Dampfmengen in Summe gleich bleiben. Das Ventil wird nur soweit geöffnet, dass es während des Anwärmens der Turbine noch weiter zu einem Druckanstieg im Reaktor kommt. Ein Druckabfall oder Druckanstieg wird so entsprechend mit der Umleit-Regelventilstellung von Hand gesteuert, während die Turbine sich die Dampfmenge nimmt, die sie benötigt. Der Druck sollte am Ende des Hochfahrens der Turbine etwa zwischen 9.000 und 10.000 kPa liegen. Bei Erreichen der Haltedrehzahl wird das Turbinenventil etwas zufahren, dementsprechend muss das Umleit-Regelventil wieder geöffnet werden. Am Ende ist das Umleit-Regelventil auf ca. 7 % geöffnet, die Turbine benötigt eine Dampfmenge von 13 bis 14 kg/s zum Halten der Drehzahl.
Generator Synchronisieren: Bei Erreichen der Haltedrehzahl kann die Synchronisationsanzeige eingeschaltet werden (Scope On/Off). Die Turbinenregelung hält die Turbine auf Nenndrehzahl und wird beim Schließen des Generatorschalters auf eine Druckregelung umgeschaltet, das Turbinenventil regelt dann den Trommeldruck. Bei ungünstigen Druckschwankungen kann das Ventil vollständig schließen, was zu einer Ventilation der Turbine durch Rückspeisung des Generators führt und den Turbinenschnellschluss (Trip) auslöst. Es werden folgende Schritte direkt und schnell nacheinander durchgeführt, um eine Rückspeisung und Ventilation zu verhindern: Der Turbinenregler wird auf Manuell geschaltet, damit wird das Turbinenventil nicht mehr gesteuert. Voraussetzung hierzu ist eine stabile Anlage ohne schnelle Lastschwankungen, was bisher gewährleistet sein sollte. Der Generatorschalter wird geschlossen, sobald die Drehfelder zueinander passen und das Turbinenventil wird sofort um weitere 4-5 % von Hand geöffnet, um den Generator unter Last zu halten. Das Umleitventil kann danach sofort auf „Automatik“ geschaltet werden und wird wegen des hoch eingestellten Sollwertes vollständig schließen. Die gesamte Dampfmenge wird nun über die Turbine geleitet, erzeugt Strom und die Reaktorleistung sollte weiterhin stabil bei 5 % Neutronenfluss liegen.
Verhalten bei Turbinenschnellschluss: Sollte wider Erwarten die Synchronisation nicht gelingen und die Turbinenschnellschlussventile schließen, muss lediglich das Umleitventil wieder geöffnet werden, um die Dampfabnahme vom Reaktor weiter zu gewährleisten. Es ist unschön, wenn dies durch die Regelung passiert, da der Druck bis dahin schon weit angestiegen ist. Ein Ablassen des radioaktiven Dampfes durch die Sicherheitsventile ist unbedingt zu vermeiden. Eleganter ist es, das Ventil sofort beim Schnellschluss der Turbinenventile selbst auf 12 % zu öffnen und die Regelkreise der Dampferzeugung nicht zu stark aus der Ruhe zu bringen. Es ist auch nicht schlimm, wenn der Trommeldruck dadurch langsam abfällt, er kann durch eine geringere Stellung des Umleit-Regelventils wieder gesteigert werden.
Der Reaktordruck wird nach dem Schließen des Umleitventils steigen, das Anfahr-Ventil der Turbine wird dann weiter geöffnet (ca. auf 15 %)
Es werden nun folgende Regelungen vor einer weiteren Leistungssteigerung umgestellt. Nach jedem Schritt sollte kurz abgewartet werden, bis die Regelkreise sich wieder eingeschwungen haben.
Der Speisewasserregler wird auf Dreipunkt-Regelung umgestellt und das große Regelventil verwendet
Der Turbinenregler wird auf Automatik geschaltet. Beim Umschalten auf Automatik wird die Turbinenregelung nun den aktuellen Frischdampfdruck als Sollwert übernehmen und diesen halten.
Der Leistungs-Sollwert des Reaktors wird nun langsam auf 8 % erhöht.
Bei Erreichen des Leistungs-Sollwertes von 8 % wird mit einer Drucksteigerung auf den Zieldruck von 10340 kPa begonnen. Dazu wird in Schritten von ca. 300 kPa der Druck-Sollwert erhöht. Sollte das Turbinenregelventil gefährlich weit schließen, muss der Prozess unterbrochen werden und das Ventil von Hand bedient werden. Eine Ventilation der Turbine ist unbedingt zu verhindern.
Ist der Ziel-Sollwert erreicht, wird auf das große Regelventil der Turbine umgeschaltet. Es kann nun die Anlage über den Sollwert des Reaktors weiter bis Vollast hochgefahren werden (aber nicht über 100 % Neutronenfluss, dies beendet die Simulation sofort!), während des Hochfahrens müssen noch ein paar wenige Dinge erledigt werden.
Bei einem Sollwert von 25 % kann auf Thermische Leistungsregelung umgeschaltet werden.
Die Turbinenentwässerungen können laut Handbuch ab einer Generatorleistung von 80 MW geschlossen werden.
Für den Vollastbetrieb sind je zwei Umwälzpumpen, zwei Kondensatpumpen und zwei Speisewasserpumpen notwendig. Bei Kondensat- und Speisewasserpumpen wird eine weitere Pumpe dann notwendig, wenn das Regelventil eine zu große Stellung erreicht, also vom Regler zu weit geöffnet werden muss. Dann ist der Druck der Pumpe nicht mehr ausreichend. Man sollte hier keine Regelventilstellungen über 60 % zulassen, um genügend Regelreserve zu haben. Das Handbuch gibt vor, bei 250 MW je eine zweite Umwälzpumpe zuzuschalten.
Die Zweite Kühlwasserpumpe wird notwendig, sobald das Vakkuum im Kondensator schlechter wird. Wird die Wärme nicht ausreichend abgeführt, steigt der Kondensatordruck an und der Wirkungsgrad der Turbine sinkt. Dies passiert ab ca. 450 MW.
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